Unumgänglich oder unzumutbar?

Streit um Omegabrücke: 140 Teilnehmer erscheinen zum Erörterungstermin in der Jahnhalle


Das Bauvorhaben in der Gesamtübersicht:
Links die Liebloser Straße, die verbreitert und mit einem Radweg versehen werden soll.
Mitte: Der Brückenbogen, für den die Bahn- und die Ladestraße versetzt werden müssen.
Rechts der südliche Teil der K 904, der ausgebaut werden soll, und die Regenwasser-Aufbereitungsanlage (blau). REPRO: RE

GNZ 26.04.2024 Gelnhausen-Hailer/Meerholz (mab). Für die einen ist sie eine Notwendigkeit, für die anderen Irrsinn: Wenige Themen sorgen in Gelnhausen so sehr für erbitterten Streit wie die geplante Omegabrücke am Ortseingang von Hailer und Meerholz. Jetzt sind die Gegner mit den Verantwortlichen zusammengekommen – allerdings nur in räumlicher Hinsicht.

Brückengegner brauchen Zeit und müssen früh aufstehen. Schon um 9 Uhr trudelten am Mittwoch die ersten von rund 140 Teilnehmern des lang erwarteten Erörterungstermins im Planfeststellungsverfahren für die Omegabrücke in der Jahnhalle Hailer ein. Um 10 Uhr eröffnete Verhandlungsleiterin Christine von Knebel, Dezernatsleiterin beim Regierungspräsidium Darmstadt, die Sitzung. Die dauerte 9 Stunden und ging am Folgetag von 10 bis 16 Uhr in die Verlängerung.

Kein Wunder, immerhin hatten sich mehr als 30 private Einwender gegen das Bauvorhaben des MainKinzig-Kreises für Redebeiträge angemeldet. Zuvor hatten Träger öffentlicher Belange das Wort. Insgesamt waren beim Regierungsprä- sidium (RP) 487 Einwendungen gegen das Bauprojekt eingegangen, das die Landesbehörde Hessen Mobil für den Main-Kinzig-Kreis plant. Das RP ist in diesem Verfahren nur für die Erörterung zuständig. Die Ergebnisse der Sitzung und des vorangegangenen Schriftwechsels zwischen Hessen Mobil und den Einwendern werden nun aufbereitet, zusammengefasst und ans Hessische Verkehrsministerium geschickt, das am Ende für das Projekt grünes Licht geben muss.

Sache der Bahn? Zweifel an eigenständigem Verfahren

Der Ausgang ist ungewisser als gedacht. Jedenfalls ließ die Sitzungsleiterin aufhorchen, als sie am Mittwoch Zweifel an der Eigenständigkeit des Planfeststellungsverfahrens durchblicken ließ. „Warum ist die Omegabrücke nicht Teil des Planfeststellungsbeschlusses für den Bahnausbau?“, fragte Christine von Knebel. Denn der Grund, aus dem der bisherige Bahnübergang in Hailer und Meerholz im November geschlossen wurde, liegt darin, dass durch den Ausbau der Strecke Hanau-Fulda hier künftig Züge mit 239 Kilometern pro Stunde unterwegs sein werden. Schienengleiche Übergänge sind nur bis zu Zugeschwindigkeiten von 160 km/h zulässig.

Warum also ein eigenes Verfahren seitens des Main-Kinzig-Kreises? Wie Uwe Zimmer (Hessen Mobil) als verantwortlicher Planer entgegnete, sei der Bauträger jederzeit berechtigt, ein eigenes Verfahren anzustrengen. Für das Ersatzbauwerk bedürfe es eines eigenen Planungskonzepts, da hier mehrere Varianten möglich seien. Und: Das Projekt betreffe weit mehr als nur den Bahnübergang selbst. Tatsächlich beginnt das Vorhaben bereits in der Ortsdurchfahrt von Hailer und Meerholz, von der aus eine neue Einmündung in die Liebloser Straße (K 904) mit einer Ampelanlage und einer Linksabbiegerspur geschaffen werden soll. Die Liebloser Straße selbst soll verbreitert und mit einem Radweg versehen werden. Neben der eigentlichen Brücke, die elf Meter hoch und 15 Meter breit sein soll, gehört auch der Ausbau der südlichen K 904 zum Vorhaben, ebenso wie eine Regenwasseraufbereitungsanlage, die in der Kinzigaue geplant ist.

Für den BUND-Kreisvorsitzenden Bodo Delhey sind diese Pläne ein „unzumutbarer Eingriff in die Natur.“ Seine Befürchtung: Der Kreis betreibt eine Salamitaktik, die unweigerlich auch zum Ausbau des nördlichen Teils des Meerholzer Landweges auf Liebloser Seite führt. „Dann wird auch die letzte Eschenallee in der Region verschwinden“, meinte Delhey in einem mehr als einstündigen Redebeitrag am Mittwoch. Bereits die aktuellen Pläne hätten erhebliche Auswirkungen auf die Auenlandschaft. Die Folgen aus Sicht des BUND: Eine Flächenversiegelung von fünf bis sechs Hektar, der Verlust von 5700 Hektar Grünland, eine Bodenverdichtung auf vier Hektar, der Verlust von Hochwasser-Retentionsflächen und von Jagdraum für acht nachgewiesene Fledermausarten. Weitere Argumente: eine erhebliche Verschlechterung des Landschaftsbildes durch ein elf Meter hohes Bauwerk, die Fällung von 20 Eschen und der Verlust von 1225 Ufergehölzen. Auf der Südseite kritisiert der BUND den Wegfall von sechs Platanen, die Verkleinerung von Gärten und den Verlust von 1600 Quadratmetern Straßenbegleitgrün. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Variantenvergleich: BUND beharrt auf kleiner Unterführung

Umfangreich sind auch die Forderungen des BUND an die verantwortlichen Planer. Die wichtigste: den Variantenvergleich überdenken. „Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt vor, dass vermeidbare Eingriffe in die Natur unterlassen werden müssen“, betonte Delhey in der Sitzung. Vor diesem Hintergrund hätte sich Hessen Mobil für eine Unterführung statt für die Brücke entscheiden müssen. „Doch Sie haben den wirtschaftlichen und verkehrlichen Belangen den Vorzug gegeben“, wandte sich Delhey an Ingenieur Zimmer. Der betonte, dass die Unterführung bei Hochwasser volllaufe. „Die Straße muss auch mehrmals im Jahr wegen Überschwemmungen geschlossen werden“, meinte Delhey. Allerdings, so Zimmer, laufe dort das Wasser von selbst wieder ab. „Aus der Unterführung müsste es gepumpt werden, wofür eine teure Anlagentechnik erforderlich wäre.“ Eine Kostenermittlung von 2019 habe ergeben, dass die Unterführung 30 Millionen Euro kosten würde, während die Omegabrücke mit nur 9,1 Millionen zu Buche schlage. Wohlgemerkt handelt es sich um alte Planzahlen. Aktuell liegen die geschätzten Kosten für das Gesamtprojekt im zweistelligen Millionenbereich.

Der BUND fordert nun, die Unterführung noch einmal zu prüfen und auch eine kleine Unterführung in den Variantenvergleich wieder miteinzubeziehen. „Das haben wir getan, eine kleine Unterführung entspricht aber nicht den Planungszielen“, antwortete ein Hessen-MobilJurist. Denn in diesem Fall könnte der Schwerlastverkehr künftig nicht mehr auf der Kreisstraße unterwegs sein. Verhandlungsleiterin von Knebel wollte wissen, wie hoch dieser bislang tatsächlich gewesen sei. Antwort Planer: Von den 2500 Fahrzeugen, die vor der Schließung des Bahnübergangs täglich auf der K 904 verkehrten, waren 60 Schwerlastfahrzeuge. Die Verkehrsprognose geht im Fall des Brückenbaus davon aus, dass bis 2030 insgesamt 5900 Fahrzeuge auf der Strecke unterwegs sind, davon 160 Lastwagen. „Das ist wenig“, meinte Delhey. Nach Aussage der Hessen-MobilVertreter hat eine kleine Unterführung im Hochwasserfall allerdings die gleichen Nachteile wie eine große.

Aus Sicht des Bauträgers ist sie ohnehin keine gute Option. So zeigte sich Holger Ullrich vom Sachgebiet Kreisentwicklung des MainKinzig-Kreises verwundert darüber, dass in der Erörterungssitzung über verworfene Varianten diskutiert wurde. Und: „Aus Sicht des Kreises soll die Stecke uneingeschränkt für die Rettungsdienste zur Verfügung stehen, um die Hilfszeiten zu verbessern.“ Bodo Delhey widersprach: „Die K 904 war noch niemals ein Weg für die Feuerwehr, aufgrund der langen Wartezeiten an der Schranke.“

Eine weitere Forderung des BUND: Auch die Nullvariante in die Abwägung einbeziehen. Das bedeutet die komplette Schließung des Meerholzer Landweges für den Straßenverkehr, wie seit November der Fall.

Von Lärmbelastung und Enteignungen

Auch der Kreisbauernverband gehört zu den Einwendern. Rüdiger Ott, Landwirt auf den betroffenen Flächen, kritisierte eine vorgesehene Ausgleichsfläche an der Kinzig, durch die wertvolles Ackerland wegfalle. Und: Weitere Grundstü- cke gingen durch die geplante Regenwasser-Aufbereitungsanlage verloren. Den Vorschlag, diese nä- her an die Brücke zu legen, lehnten die Hessen-Mobil-Vertreter allerdings mit dem Hinweis ab, dass die Anlage an der niedrigsten Stelle der Aue errichtet werden müsse, um teure Pumpenanlagen zu vermeiden.

Probleme gibt es jedoch nicht nur in der Kinzigaue, sondern auch im Inneren des Ortes. Wie der Anwalt mehrerer Anwohner des Heimatfriederings ins Feld führte, müssten diese für die Bauarbeiten einen bis zu fünf Meter breiten Streifen ihrer Gärten während der Arbeiten zur Verbreiterung der Liebloser Straße abgeben. Ein weiterer Mandant soll dauerhaft 50 Quadratmeter seines Gartens verlieren. Zudem sei die Gesundheit der Anwohner durch eine Zunahme des Verkehrslärms um bis zu 10 Dezibel in der Nacht gefährdet, betonte der Anwalt ironischerweise am internationalen „Noise Awareness Day“. Sein Fazit: „Die Abwägung der Varianten ist zu sehr auf das Planziel, einen flüssigen Verkehr für 6000 Fahrzeuge am Tag, ausgerichtet. Das Schutzgut Mensch kommt viel zu kurz.“ Seine Forderung: Statt den Zustand vor der Schließung des Bahnübergangs lieber den aktuellen als Vergleichsgrundlage heranziehen, also die Schließung der Kreisstraße. „Das wird auf Jahre ohnehin der Fall sein.“ Tatsächlich können die Bauarbeiten für die Brücke laut Hessen Mobil erst 2026 beginnen. In Betrieb genommen werden kann die Brücke frühestens 2029.

Hessen Mobil warnt vor Kollaps der Westspange

Erwartungsgemäß nicht einig wurden sich die unterschiedlichen Lager in der Frage, ob die Omegabrücke nun mehr Verkehr anzieht oder diesen lediglich anders verteilt. Laut Uwe Zimmer ändern die unterschiedlichen Varianten nichts an der Verkehrsprognose. Und die Stilllegung des Meerholzer Landweges? Laut Hessen Mobil führt sie zu einer deutlichen Überlastung der umliegenden Verkehrswege. Besonderer Brennpunkt: die Westspange. Hier rechnen die Planer mit bis zu 750 zusätzlichen Fahrzeugen pro Tag. Die Stelle sei bereits jetzt auf der vorletzten Qualitätsstufe, ohne Brü- cke würde sie im Jahr 2030 auf die schlechteste fallen. „Dann geht da nichts mehr“, meinte ein Planer. „Warum bauen Sie dann den Knotenpunkt dort nicht aus, wenn das Ihr Problem ist?“, meinte der Anwalt der Inneren Mission Frankfurt, die das Pflegezentrum im Schloss Meerholz betreibt. Und: „Warum löst der Kreis ein Problem, das gar nicht seines ist?“ Die Eingriffe in die Gesundheit und die Grundstücke seiner Mandaten, um 160 Lastwagen pro Tag den Weg von Gelnhausen nach Lieblos zu erleichtern, seien jedenfalls höchst unangemessen, zumal sich der nördliche Teil der K 904 ohnehin nicht für den Schwerlastverkehr eigne.

Auch der Anwalt des Pflegeheims stellte die Gültigkeit des Zustandes vor der Schließung des Bahnübergangs als Vergleichsgrundlage für die Folgen der Brücke in Frage – und erntete die Zustimmung der Verhandlungsleiterin. „Wir müssen tatsächlich klären, ob ein illegaler Zustand, denn der schienengleiche Bahnübergang ist ja gesetzlich nicht mehr erlaubt, ein zulässiger Nullfall ist“, meinte Christine von Knebel. Eine Frage, die massive Auswirkungen auf die Lärm-, aber ebenso auf die Klimabilanz des Projekts hat. Laut Hessen Mobil wirkt sich das Vorhaben positiv auf den CO2-Ausstoß aus. Der Grund: Fließender Verkehr und eine sechs Kilometer kürzere Strecke von Gelnhausen nach Lieblos. Der Anwalt der Inneren Mission meldete Zweifel an. „Die Pendlerströme werden sich bis 2030 wesentlich verändern“, verwies er auf den Ausbau der Bahn, die Vier-Tage-Woche und den Trend zum Homeoffice. Ähnlich sah dies ein Teilnehmer aus Hailer: „Ihre Verkehrsprognose ist so seriös wie die Vorhersage der Lottozahlen vom kommenden Wochenende.“

Zweifel an CO2-Einsparung

Lydia Naunheim, Sprecherin der Bürgerinitiative „Erhalt der K 904“, bezweifelte die erwartete CO 2-Einsparung: „6000 Fahrzeuge, die sich aus dem Tal über eine elf Meter hohe Brücke quälen, auf der anderen Seite mit Schrittgeschwindigkeit die Liebloser Straße hochfahren, um dann mit laufendem Motor auf die grüne Ampel zu warten, das klingt für mich nicht nach einem guten Konzept, um Emissionen einzusparen.“

In der Mammutsitzung, die erst um 16 Uhr am Donnerstag zu Ende war, sprachen die privaten Gegner des Bauvorhabens zahlreiche weitere Probleme an. Dabei flossen sogar Tränen, als eine schwerbehinderte Frau, die auf ihr Fahrrad angewiesen ist, ihre Sorgen vor noch mehr Verkehr zum Ausdruck brachte. Aus Sicht von Uwe Zimmer werde sich dagegen die Situation für Radfahrer mit der neuen Spur und einer neuen Querungshilfe in der Kinzigaue verbessern.

Dirk Säufferer prangerte die Zerstörung des Schlossparkareals als Gartenkunstwerk an. Dieses sei grö- ßer als der eigentliche Schlossgarten. Sein Vorschlag: Den Bahnübergang nicht ersetzen, sondern den Meerholzer Landweg zum Teil des R3-Radweges machen und für den Anschluss die Unterführung im Bahnhof Hailer-Meerholz nutzen. Der, entgegnete ein Vertreter der Bahn, sei allerdings nur dazu gedacht, um die Gleise zu erreichen. Eine Öffnung in Richtung Kinzigaue sei nicht geplant.


Die Teilnehmer des Erörterungstermins am Mittwochmorgen. FOTO: ABEL

Nach der rund 15-stündigen Sitzung ist die Arbeit für das Regierungspräsidium Darmstadt noch nicht getan. Jetzt gilt es, alle Ergebnisse der Erörterung zusammenzutragen, aufzuarbeiten und diese dem Hessischen Verkehrsministerium zu übergeben. Wann dies der Fall ist, steht noch nicht fest. Einen Zeitpunkt für den Abschluss des Anhörungsverfahrens konnte das RP am Donnerstag auf GNZ-Nachfrage noch nicht nennen. Sollte Wiesbaden grünes Licht für das Bauvorhaben geben, besteht für unmittelbar betroffene Anwohner noch die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen.

Quelle: GNZ vom 26.4.2024, Fotos: REPRO: RE , ABEL